Kragstuhlmuseum

Kragstuhlmuseum
Lauenförde

Wer würde vermuten, dass sich hinter diesem sperrigen Namen ein Ort verbirgt, der sich ganz dem Schweben und Schwingen verschrieben hat, an dem man vom schwerelosen Sitzen träumt? Manche bezeichnen Tecta als Gesamtkunstwerk.

Wer das vom englischen Architektenpaar Alison und Peter Smithson geprägte Firmengelände betritt, findet sich in einem Skulpturenpark wieder, vornweg die Manufaktur, der filigrane Wewerka-Pavillon, gegenüber drei Museumshallen wie gläserne Waben: Ein Stahltragewerk, innen weiß und außen feuerrot gestrichen, mit eigenwillig hohen Stützen, auf deren Spitzen Stühle positioniert sind. »The Ten Chairs of Lauenförde« heißt die Installation, die mit einem roten Fachwerkturm aus Stahl korrespondiert, dem Eingang zur »Tecta Landscape«.
Daniela Drescher schließt an diesem Morgen die Museumshallen auf. Hier verbirgt sich die Sammlung, die Axel Bruchhäuser rund um den Kragstuhl zusammengetragen hat und die heute von seinem Neffen Christian Drescher und dessen Frau, Daniela Drescher, sorgsam fortgeführt wird. »Urmodelle der Moderne« stehen neben »Anonymen Aristokraten« – es werden fast 100 Jahre Designgeschichte erzählt, die mit der Firma Tecta in Verbindung stehen.
»Das ist hier ein bisschen wie eine Freiflughalle für Sitzmöbel«, erklärt Daniela Drescher in der ersten Halle, »kunterbunt und auf den ersten Blick etwas unübersichtlich. Bei näherer Betrachtung stellt man aber schnell fest, dass es viele Verwandtschaften gibt«, so die Museumsleiterin, »und damit kommt Peter Smithsons Gedanke der ›families of chairs‹ zum Tragen. Die Sammlung gleicht einem großen Familientreffen, bei dem jeder Stuhl seine eigene Geschichte hat und mit den anderen in besonderer Weise verbunden ist.«
So gesellen sich neben die historischen Ausstellungsstücke auch aktuelle Entwürfe. Hier präsentiert sich das Universum der Firma Tecta in einem farbenfrohen und zeitgemäßen Wechselspiel.

Öffnungszeiten

März bis Dezember
Fr 10 – 17 Uhr
Sa 10 – 16 Uhr

Fr, 22.11.2024 geschlossen

Feiertage / Museum geschlossen

Winterpause
16.12.2024 – 28.02.2025

Eintrittspreise

Erwachsene: 7,00 Euro
Ermäßigt*: 5,00 Euro

Digitale Museumsführer können gegen Pfand ausgeliehen werden.

*gilt für Schüler und Studenten.

Kinder bis 10 Jahre zahlen keinen Eintritt!

Führungen 5-20 Personen

nur mit Voranmeldung
– zu den Öffnungszeiten: 50€ zzgl. Eintritt/Person
– außerhalb der Öffnungszeiten: 90€ zzgl. Eintritt/Person

Tecta Showroom

Eintritt kostenfrei

Adresse

Tecta Kragstuhlmuseum
Sohnreystraße 8
37697 Lauenförde

Kontakt

Daniela Drescher
drescher@kragstuhlmuseum.de
0151 654 774 92

El Lissitzky,
1926

„Die statische Architektur der ägyptischen Pyramide ist überwunden: Unsere Architektur rollt, schwimmt, fliegt. Es kommt das Schweben, Schwingen. Die Form dieser Realität will ich miterfinden und gestalten.“

Kragstuhlsammlung
Urmodelle der Moderne
Anonyme Aristokraten
Jean-Prouvé
Alison und Peter Smithson
Stefan Wewerka

Die Kragstuhlsammlung dokumentiert die Entwicklung des „hinterbeinlosen Stuhls“ von der starren Krag-Konstruktion bis zum federnden Freischwinger.

Das Jean-Prouvé-Archiv veranschaulicht mit über 100 Originalen die Konstruktions-Prinzipien des französischen Ingenieurs und Architekten.

In der Sammlung Urmodelle der Moderne sind Stuhl-Originale von Schinkels Gusseisenstühlen bis zu Wewerkas Entwürfen aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts vertreten.

Die Sammlung Anonyme Aristokraten beinhaltet Fundstücke unbekannter Gestalter, die denen ihrer berühmten Zeitgenossen in nichts nachstehen.

Im Alison und Peter Smithson-Archiv und im Wewerka-Studio befinden sich zahlreiche Entwürfe, Prototypen und Serienprodukte.

Die TECTA-Ausstellung zeigt auf über 1000 qm die Modelle der aktuellen TECTA-Kollektion.

Die Gestalter
im Kragstuhlmuseum

Ein Möbel, das Geschichte schrieb: der Kragstuhl. Eine technische Revolution und ein Symbol für die neue Epoche. Das Aufbrechen und Schweben, das Künstler und Architekten in den 20er Jahren gleichermaßen beseelte.

Über Jahrzehnte trug Axel Bruchhäuser, Gründer der Kragstuhlsammlung, die Entwicklungen rund um das Möbel zusammen: »Für mich war es instinktiv die Suche nach der Urform des Stahlrohr-Stuhles«, erzählt er. »Mich interessierte, aus welchem Gedanken heraus der Kragstuhl entstanden ist.« Den Namen „Kragstuhl“ untermauerte Heinz Rasch, einer der Ideengeber, mit den architektonischen Konstruktionen von Fachwerkhäusern, die im Obergeschoss überkragen, um einen Erker zu tragen. So entstand der Name für ein Möbel, das mit zwei statt vier Beinen auskommt und völlig schwerelos wirkt.

– Alvar Aalto
– Aagaard Andersen
– Alfred Arndt
– Marcel Breuer
– Ray und Charles Eames
– Walter Gropius
– Hugo Häring
– El Lissitzky
– Hannes Meyer
– Ludwig Mies van der Rohe
– Charlotte Perriand
– Jean Prouvé
– Heinz Rasch
– Gerrit Rietveld
– Alison & Peter Smithson
– Mart Stam
– Vladimir Tatlin
– Guiseppe Terragni
– Stefan Wewerka
– Sergius Ruegenberg

Wo Stühle fliegen und schweben: das Tecta Kragstuhlmuseum.
Ein Interview mit Daniela und Christian Drescher

Hinter dem Namen „Kragstuhlmuseum“ verbirgt sich eine kleine Sensation: das weltweit einzige Museum, das sich der Entwicklung des hinterbeinlosen Stuhls, des Kragstuhls, widmet. Ein Gesamtkunstwerk, in dem Exponate stehen, die sich vor den großen Designsammlungen der Welt nicht zu scheuen brauchen. Zugleich ein Ort, der sich beständig weiterentwickelt. Wohin die Reise nach dem neuen Umbau geht, erklären Tecta-Geschäftsführer Christian Drescher und seine Frau Daniela Drescher, die die Leitung des Kragstuhlmuseums übernommen hat.

Im Jahr 1979 wurde das Kragstuhlmuseum gegründet – warum?
Christian Drescher: Axel Bruchhäuser hatte, nachdem er das Unternehmen Tecta von Hans Könecke übernahm, den Wunsch, Bauhaus-Möbel in Lizenz herzustellen. Einfach gesagt, er benötigte die Originale, um zu lernen, wie man sie in Serienproduktion originalgetreu und im Sinne der Urheber herstellen konnte. So legte er die Grundsteine für die Sammlung. Die mittelalterliche »Burg Beverungen« war bis zum Jahr 2000 Heimat für die Ausstellung. Inzwischen wuchs die Sammlung jedoch so stark an, dass ein eigenes Museum folgerichtig war. 2003 zogen wir in die neuen, von Peter Smithson entworfenen Museumshallen auf dem weitläufigen Gelände, der »Tecta-Landscape«, um. Hier wird die Sammlung ihren drei Aufgaben gerecht: Museum, Firmenarchiv und zugleich Showroom zu sein.

Das Museum hat einen außergewöhnlichen Namen. Wie kam es dazu?
Christian Drescher: Das Museum ist eng mit der Arbeit von Tecta verknüpft. In der Anfangszeit gab es juristische Unklarheit über die Urheber- und Nutzungsrechte am Kragstuhl. Axel Bruchhäuser suchte Zeitzeugen und versuchte, die Geschichte des Möbels zu rekonstruieren. So traf er die Familie Gropius, Marcel Breuer, Sergius Ruegenberg, Mart Stam, Jean Prouvé und öffentlichte das Buch »Der Kragstuhl», das immer noch zur Primärliteratur gehört.

Warum ist das Kragstuhlmuseum für Sie kein Museum im eigentlichen Sinne?
Daniela Drescher: Eine Besonderheit der Sammlung ist der Ort, an dem sie präsentiert wird und sein Überraschungsmoment: Viele Besucher rechnen nicht damit, in der Provinz, auf der grünen Wiese, eine Sammlung der Moderne zu finden. Man kann die Exponate von außen wie von innen betrachten, und sie gehen eine Wechselbeziehung zu Umwelt und Architektur ein. Peter Smithson dachte an die „Families of chairs“. Ein Leitgedanke, der sich im Grundriss des Museums widerspiegelt. Die Exponate unserer Ausstellung finden ihre Nischen im Raum und ordnen sich einander zu wie bei einem großen Familientreffen. Es gibt engere und weitere Verwandtschaften, und jeder hat zu jedem eine bestimmte Verbindung.

Sind diese Verwandtschaften rund um das Sitzen heute noch zeitgemäß darstellbar?
Daniela Drescher: Die Sammlung selbst ist zeitlos, und das Thema des Sitzens in einer modernen Welt ist nach wie vor aktuell. Viele Besucher sind erstaunt ob des Alters mancher Ausstellungsstücke, weil ihnen die Entwürfe so gegenwärtig und vertraut vorkommen. Der aktuelle Bezug ist also in vielen Fällen vorhanden und wird dadurch unterstrichen, dass wir Teile unserer Produktion zeigen, die unmittelbar nebenan angefertigt werden.

Ihre Produkte Ihre Protagonisten, sind gerade neu in Szene gesetzt. Warum war es an der Zeit, das Museum umzugestalten?
Christian Drescher: Wir folgten Peter Smithsons Vorstellung einer „Art Barn“, einer Kunstscheune, die einen lockeren Zugang zu der Sammlung ermöglicht. Natürlich kann man auf den Exponaten nicht sitzen, doch sie sind für den Besucher außergewöhnlich nahbar, sie stehen weder auf Sockeln noch Vitrinen. Wir wollten aber auch Smithsons Gedanken der Stuhlfamilien und Verwandtschaften aufgreifen. Daher haben wir die bisher an den Außenwänden aufgereihten Exponate in den Raum gezogen, neu gruppiert und zueinander in Beziehung gesetzt. Zusätzlich wurde eine typografisch gestaltete Textebene hinzugefügt.

Daniela Drescher: Die auf Transparenz angelegten Museumshallen waren außerdem schlicht zu voll. Wir haben sortiert, einen Teil der Exponate eingelagert, den ursprünglichen Sisalteppich entfernt und durch einen gewachsten Fließestrich ersetzt. Der neue, matt glänzende Boden unterstreicht die Leichtigkeit und Transparenz der Architektur. Der Blick kann schweifen und bleibt wie von selbst an den Details hängen.

Ein Museum ohne Wände – wie funktioniert das?
Christian Drescher: Das Kragstuhlmuseum ist wohl das einzige Museum, das vollständig auf weiße Wände verzichtet, stattdessen rundherum verglast und mit einer Gitterwerkstruktur versehen ist. Das ermöglicht eine komplexe Blickbeziehung von außen nach innen und umgekehrt. Die Exponate, das Museum – alles scheint zu schweben und sich zu bewegen. Da wir bei der Neustrukturierung des Museums auf erklärende Texte nicht verzichten wollten, sind wir auf den Betonfußboden ausgewichen, auf dem die Inhalte grafisch und farblich gestaltet Besuchern den Weg durch die Sammlung weisen.

Das Museum gehört zur Tecta Landscape. Was verbirgt sich noch hinter diesem Begriff?
Daniela Drescher: Die Tecta Landscape ist ein über die Jahre gewachsener Industrie- und Landschaftspark. Viele kleine und größere Eingriffe, ob in die Architektur des Firmengebäudes oder
landschaftsplanerische Ideen, wurden in einem langen Prozess von dem Architektenpaar Alison und Peter Smithson umgesetzt. Mit dem Kragstuhlmuseum waren die Arbeiten von Alison und Peter Smithson an der Landscape abgeschlossen. Bis heute sind wir in engem Kontakt mit den Nachfahren, die sich mit Sensibilität um das Erbe der Eltern kümmern. Simon Smithson, Sohn und selbst erfolgreicher Architekt, gestaltete 2006 eine Außenplattform zwischen Museum und Firmengebäude und schuf so einen Platz mit großartigen Blickachsen, der den neuen Mittelpunkt der Tecta Landscape bildet.

Das alles findet seine Ergänzung in der gerade abgeschlossenen Sanierung und Umgestaltung der Büros und des Firmengebäudes durch Andree Weißert. Dem Berliner Architekten ist es gelungen, neue und überraschende Sichtachsen auf den Landschaftspark freizulegen. Die rot gestrichenen Stahlträger in den Büros korrespondieren dabei auch mit dem Rot des Museums.

Die Sammlung des Kragstuhlmuseums entwickelt sich beständig weiter. Was soll Ihr Ziel in zehn Jahren sein?
Christian Drescher: Ein Ziel ist die Weiterentwicklung der Sammlung. Schließlich ist alles in Bewegung – konstruktive Ideen und neue Materialien ermöglichen neue Gestaltungen. Sie werden bei uns geprüft und erforscht, um zeitgemäße Lösungen zu finden. Das Museum zeigt immer den Kern dessen, womit wir uns aktuell beschäftigen, es geht um das kontinuierliche Weiterentwickeln. Gerade bei jüngeren Besuchern spüren wir auch heute noch eine große Faszination für Ideen und Objekte der Moderne. Das möchten wir pflegen und ausbauen. Dazu gehört auch, dass sich das Museum weiter öffnet. Die Tecta Landscape soll ein lebendiger Ort sein. Inspiration geben, kreativen als auch konstruktiven Austausch ermöglichen.